Jouarez

Jouarez

Übel Mensch

2003 kam das dritte Pferd zu uns - Jouarez, ein Andalusier. Ich habe bislang wohl kaum ein Pferd gesehen, dass sich im Fellwechsel derart verändert: im Sommer ein ansehnliches Kerlchen, im Winter ein "hässlicher" Muli. Doch erst einmal zur Vorgeschichte.

Nach der Trennung von meinem (ersten) Mann war ich 2002 mit meinen Pferden in einen "Handelsstall" gezogen. Das war die naheliegenste Lösung, da meine neue Bleibe keine 100 Meter davon entfernt lag. Naja, und da sah ich Jouarez zum ersten Mal und die Geschichte nahm ihren Lauf.

Dieser kleine Andalusier war eines Tages verschwunden - nur um wenige Wochen später wieder auf zu tauchen. Das ging einige Monate so weiter. Der Händler hatte ihn immer wieder mit anderen gewerblichen Verkäufern getauscht, wie es bei vielen Gang und Gebe sein soll. Jouarez bekam das nicht: Er sah von mal zu mal schlechter aus. Den Streß mit den ständig neuen Umgebungen setzte er in Scheuern um.

Beim letzten Mal hatte der Wallach derart gescheuert, das Schweig und Mähne nicht nur an vielen Stellen weg waren, sondern die darunter liegende Haut total verschorft waren. Hals und Schweifrübe waren ein einziges Desaster. Kurzentschlossen kauften ihn mein Freund (heute Mann und Papa meines Sohnes) und ich. Für "einen besseren Schlachtpreis" offeriert, wurde letztlich doch wieder eine stattliche Summe daraus.

Da der aus einer kleinen Zucht in Spanien stammende Jouarez eine "Hengsterziehung" genossen hatte, zeigte er sich von Anfang an extrem brav an der Hand. Aber reiterlich? Panikattacken, Missverständnisse - das komplette Programm. Selbst bei den ersten Bodenarbeitsversuchen rannte er wie um sein Leben.

1999 direkt aus Spanien importiert, wurde er angeblich von einem durch Pferdeshows international bekannten Unternehmen (zu dem der Händler freundschaftliche Kontakte unterhält) bis zur hohen Schule ausgebildet. Nach seiner ersten Showteilnahme aber ist er offensichtlich "aussortiert" worden - eben nicht hundertprozentig perfekt für so etwas.

Im Anschluß daran wurde er - noch Hengst - in private Hände verkauft. Offenbar für die neuen Besitzer nicht händelbar, wurde er kastriert. Wohl aufgrund mangelnden Vertrauens in Zweibeiner änderte dies aber nichts an seiner Rittigkeit. Die Folge: Er stand in der Ecke, wurde schließlich Scheidungsopfer. und ging seinen Weg zurück zum Händler, wo seine eigentliche Odyssee begann. Einst für 15000 Mark verkauft, war sein (wirtschaftlicher) Wert innerhalb kürzester Zeit ins Bodenlose gefallen.

Von "Könnern" und Können

In der Babypause wurde dann die Zeit knapp, die wir für die Pferde auzubringen in der Lage waren. Um ihnen diese Phase angenehmer zu gestalten, hatten wir für unsere Miniherde inzwischen eine wunderschöne Wiese ind en Allerniederungen besorgt. In dieser Zeit bekam ich das Angebot einer Spanisch-"Reitlehrerin", den Schimmel eine Zeit lang zu übernehmen. Sie suchte ein Pferd als Ersatz für ihren laut TA mindestens ein Jahr lahmenden Hengst.

Wir waren der Meinung, das sei eine gute Idee. Durch ihre schulische Ausbildung zeigte sie viel Sachverstand in physiognomischen Bereichen. Und sie war überzeugt, Jouarez auch unter dem Sattel wieder desensibilisieren zu können. Der Stall war nett und übersichtlich, die Frau symphatisch. Also Jouarez aufgeladen und ins Wendland gefahren. Wieder zu Hause sassen mein Mann und ich zusammen, und grübelten, ob wir den richtigen Weg eingeschlagen hätten. Da erreicht uns eine SMS: "Euer Schimmel steht auf dem Auslauf uns ist gaaanz entspannt. Schickes Pferd, nur die Beine sind etwas lang". Beruhigt gingen wir diesen Abend ins Bett.

Die erste Zeit meldete sie sich häufig, berichtete Sachen wir "Das ist das erste Pferd, dass ich unterm Sattel habe, der komplett auf Bügeltritt ausgebildet ist" und ähnliches. Naja, etwas Positives hatte also die Geschichte: Nun wussten wir, warum er so "zickig" beim Reiten war. Das lief so ein paar Monate. Ich versuchte sogar, in ein paar Stunden Unterricht bei ihr zu lernen - aber das ist ein anderes Thema. Irgendwann aber meldete sie sich nicht mehr, ließ Termien platzten, reagierte nicht auf SMS-Anfragen und war auch nicht telefonisch erreichbar.

Kurzerhand setzten wir uns eines Morgens ins Auto und fuhren hin. Nach ettlichen Minuten Klingeln an der Haustür öffnete sie schließlich. Im folgenden Gespräch dann der Klopfer. Auf meine Aufforderung, wir möchten Jouarez sehen, erhielten wir die Antwort: "Nein, das will ich nicht. Er ist nicht geputzt". Ich dachte, mein Menne reisst ihr gleich den Kopf ab. Nach kurzem, aber massiven Geplänkel räumten wir ihr die Möglichkeit ein, den Schimmel zu putzen. Wir machten derweil einen Gassigang mit unserer Hündin. Den Anblick, der sich uns beid er Rückkehr auf den Hof bat, werde ich nicht vergessen. Noch heute mache ich mir Vorwürfe wenn ich daran denke, in welchem erbarmungswürdigen Zustand sich Jouarez befand. Also umgehend einen Hänger organisiert und den Wallach abgeholt.

Das gesamte Ausmaß wurde erst zu Hause sichtbar. Die Hufe bogen sich, Jouarez lief nur noch auf der Sohle, wo sich zwischenzeitlich Blutergüsse und Geschwüre gebildet hatten. Gut ein dreiviertel Jahr war unser Schmied fast Monat für Monat beschäftigt, ihn vorsichtig wieder zu korrigieren, um die Sehnen nicht zu überlasten. Natürlich hatte auch seine Psyche wieder einen Knacks erhalten und die in den Jahren zuvor aufgebaute Vertrauensbasis enorm geschädigt.

Als wir ihn dann auf die Wiese ließen und unsere drei sich wiehernd entgegen liefen, stand für mich eines fest: Von meinen Pferden geht keines mehr vom Hof. Ich hoffe, der Leidensweg für unseren kleinen Spanier ist nun endgültig vorbei.

P.S.: Nach den anfänglichen Rückschritten hat sich die Beziehung zwischen Jouarez und uns wieder extrem verbessert. Er steckt mittlerweile von selbst den Kopf ins Halfter, hat offensichtlich Spaß an der Bodenarbeit und auch die ersten Reitversuche (noch an der Longe) haben ihn nicht aus der Bahn geworfen. Vielleicht klappt es ja doch noch einmal mit dem Reiten - und wenn nicht, so ist er wenigstens Wurm und Mira ein echter Kumpel.

 

Der Grat zwischen Angst und Vertrauen

Es gingen ettliche Monate ins Land, bevor Jouarez mehr Zutrauen zu uns fasste. Man muss sich dass mal vorstellen: Da will man seinem Pferd etwas Gutes tun, für genügend Auslauf sorgen, und stellt ihn zu anderen auf einen riesigen Paddock. Und was macht er? Rennt wie angestochen am Zaun entlang und will nur zurück in seine Box!

Als wir dann mit dem gesamten Stall auf eine neue Anlage mitzogen, kamen unsere drei in einen gemeinsamen Offenstall. Im kleinen Verbund beruhigte sich dann auch Jouarez - es blieb im ja auch nichts anderes übrig. Nach und nach wurde er wieder Pferd, kasperte mit Wurm oder betrieb mit Mira Fellpflege. Heute ist es "seine" kleine Herde, die er - wenn auch als rangniedrigster der dreien - wachsam beschützt.

Auch sein Vertrauen in uns wuchs, wenn auch nicht in dem umfang, wie wir es natrülich gern gesehen hätten. Reiterlich war er nach wie vor für uns nicht händelbar. Standardhilfen verwechselte er offenbar mit Kommandos für irgendwelche Lektionen, entsprechende Korrekturversuche verunsicherten ihn und die Panik wuchs. Als beschlossen wir nach einigen wenigen Versuchen, ihn erst einmal seelisch zur Ruhe kommen zu lassen. Spaziergänge, Bodenarbeit (klappte ganz gut) und viel Tüddelei standen auf dem Programm.